Kunstverein Hannover, Hannover
Roee Rosen: The Kafka Companion to Wellness
Ausstellung vom 09.11. bis 12.01.
Roee Rosen (geb. 1963, Rehovot, Israel) nimmt mit seinen zwischen Fiktion und Realität changierenden Figuren, die seit mehr als drei Jahrzehnten in zahlreichen Formaten und Medien erscheinen – in Gouachen, Gemälden und Filmen, Büchern und Installationen – eine einzigartige Position in der Kunst ein.
„Diejenigen unter Ihnen, die von mir gehört haben, wissen, dass ich meine gesamte Karriere auf Lügen, Skandalen, obszönen Bildern und falschen Identitäten aufgebaut habe. Ich habe so getan, als wäre ich nicht ich selbst. Damit ist jetzt Schluss. Es ist dringend geboten, das Richtige, Schwierige zu tun“, sagt der Künstler in seinem Film The Confessions of Roee Rosen (2007), in dem er von drei illegal migrierten Arbeitskräften gespielt wird. In Two Women and a Man (2005) hingegen tritt Rosen persönlich auf, allerdings als fiktive Wissenschaftlerin, die ein Fernsehinterview über Justine Frank gibt: eine obskure surrealistische Malerin, die in Wirklichkeit nie existiert hat, deren Werke sich jedoch in Kunstsammlungen befinden. Rosen hat nicht nur eine filmische Erzählung geschaffen, sondern auch Franks gesamtes Œuvre an Ölgemälden und Gouachen mit persönlichen Fotos und dem umstrittenen Buch, das sie geschrieben hat (Sweet Sweat, Sternberg Press, 2009), entwickelt. Durch ihre Biografie spricht Rosen von einer unmöglichen Vergangenheit und erschafft eine alternative Gegenwart.
In seinen poetischen Werken greift Rosen die Extreme der menschlichen Existenz auf: das Leben, den Tod, aber auch die Sexualität, die als eine treibende Kraft häufig in den von ihm entwickelten Szenarien zum Einsatz kommt. Maxim Komar-Myshkin, eine weitere von Rosen zum Leben erweckte Figur, ist ein russischer Dissident, Künstler und Emigrant. Besessen von dem Gedanken, auf Befehl von Wladimir Putin ermordet zu werden, nahm sich Myshkin 2011 das Leben. Er hinterließ eine Reihe von Gouachen, die als düsteres Märchen konzipiert sind – sowohl ein Zeugnis seiner eigenen Paranoia als auch ein ultimativer Akt der Vergeltung –, in dem sein Erzfeind Opfer einer wahnhaften Abfolge von Ereignissen wird, während sein ungestilltes Bedürfnis nach Genugtuung die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verwischt.
So meisterhaft, wie er seine Figuren erschafft, entwirft Rosen vielschichtige Erzählungen, die sich aus Kultur, Politik und letztlich auch aus seinen eigenen Erfahrungen speisen. Sein jüngster Film, Kafka for Kids (2022), an dem er lange gearbeitet hat, ist als Pilotfolge für ein Kinderprogramm im Fernsehen angelegt. Darin wird Franz Kafkas Kurzgeschichte Die Verwandlung selbst in eine psychedelische Séance verwandelt. Damit unterstreicht Rosen die so geniale wie simple Vorstellung des Schriftstellers davon, was es bedeutet, eines Tages als Kakerlake aufzuwachen, und hebt gleichzeitig die politischen Verzweigungen eines solchen Dilemmas hervor – in all seiner surreal-ausgeweiteten Komplexität. Ganz gleich, wie nah oder fern seine Figuren und Bezüge sind: Rosen bleibt stets ein impliziter Teil davon.
Für Lucy is Sick (2020–2024) entwarf der Künstler ein Malbuch für Erwachsene, das den Umgang mit einer Krankheit schildert – was sich aller Vermutung nach nicht allein durch die Verwendung trockener Fachbegriffe erfassen lässt und eine Sehnsucht ausstrahlt, mit persönlichen Inhalten gefüllt zu werden. Für The Gaza War Tattoos (2024) bedient sich Rosen, wie schon in seiner gesamten Praxis, einer in sich widersprüchlichen Sprache, um Gefühle von Sicherheit einerseits und deren Fehlen andererseits in Szene zu setzen.
Für Rosen – mit seinem Hintergrund in Philosophie, Literatur und bildender Kunst – ist Humor ein Werkzeug, das er jahrelang erprobt und gemeistert hat. Aber das Lachen ist nur ein Nebeneffekt, wenn er Grenzen zwischen Orten, Ländern und Nationen überschreitet, in einer ständigen Bewegung zwischen dem, was die Arbeit von Historiker:innen ausmacht, den Ergebnissen politischer Aktionen und ihren Auswirkungen, und dem, was die Arbeit des Imaginären ist, was in der Vorstellung lebt. „Ich bin Roee Rosen“, verrät eines seiner drei Bildnisse in Confessions: „Ich wurde in einem kleinen, trostlosen Dorf in Israel geboren, vier Jahre vor 1967. Meine wunderbaren Eltern haben mir ein fühlendes Herz vererbt; für sie war es die Quelle ihres Glücks, für mich war es die Grundlage all meines Unglücks. Alles war schmerzhaft, und die Schmerzen der anderen waren noch unerträglicher als meine eigenen.“
Roee Rosen. The Kafka Companion To Wellness mit über hundert Gouachen, Gemälden und Filmen von Roee Rosen ist seine erste große Einzelausstellung in Deutschland seit fast einem Jahrzehnt, kuratiert von Christoph Platz-Gallus und Krzysztof Kosciuczuk. Sie wird begleitet von einer Publikation des Künstlerbuchs The Standard Edition, das Rosen 2016 begonnen und kürzlich abgeschlossen hat und vom Distanz Verlag und Kunstverein Hannover herausgegeben wird.
Öffnungszeiten
Di-Sa 12-19 Uhr, So 11-19 Uhr
Anschrift
Kunstverein Hannover
Sophienstraße 2
30159 Hannover
Nahverkehr
H Kröpcke / Linie 1 bis 9, 11
H Aegidientorplatz / Linie 1, 2, 4, 5, 6, 8, 11
H Thielenplatz / Bus 100, 121, 128, 134, 200
Barrierefreiheit
Zugang barrierefrei / Aufzug Seiteneingang rechts